Traditionelle Technik trifft auf aktuelle Themen – „Leidenschaft – Kunst – Textil“ überrascht in der Stadtgalerie Mennonitenkirche

Sabine Hack bereitet vor der Ausstellungseröffnung ihr Werk „Peak“ in den Räumen der Stadtgalerie Mennonitenkirche vor. (Foto: Stadt Neuwied / Melanie Lange)

Eine Frau in Jeans und weitem Kapuzenpulli kniet in der Mitte eines hellen, lichtdurchfluteten Raums. Vor ihr türmt sich eine Konstruktion aus unterschiedlichen Stoffen in Schwarz, Grau, Silber auf. Mit sicheren Handgriffen fixiert sie das Material in mehreren Lagen aneinander. Was sie dafür braucht, hat sie in einer kleinen transparenten Dose dabei. Im Hintergrund ein großformatiges Bild – ist das nicht ein XXL-Hahnentritt-Muster?

Die Frau ist Künstlerin Sabine Hack. Der Ort die Neuwieder Stadtgalerie Mennonitenkirche. Hier entsteht ihr Werk „Peak“ – zu Deutsch: Höhepunkt oder Gipfel. Ein Bergmassiv aus Stoff, das die Verletzbarkeit der Natur im scheinbaren Verfall von Material sichtbar macht. Daneben ein Werk mit dem sprechenden Titel „Die Erde steht Kopf“. Das wichtigste Werkzeug für Hacks Arbeit: Nadel und Faden. Im gleichen Raum: Ein Bild wie eine poetische Geschichte, von Andrea Hess aus einem einzigen schwarzen Faden auf weißen Stoff gebracht. Sinnliche Lippen aus Nylon an den Figuren von Cora Volz. Und Martina Ziegenthalers großformatiger Hahnentritt aus Stoffen.

Diese und weitere zeitgenössische Perspektiven textiler Kunst zeigt die neue Ausstellung „Leidenschaft – Kunst – Textil“ in Neuwieds Stadtgalerie Mennonitenkirche. Und die sind kritischer, brachialer, schriller und virtuoser, als man zunächst denken könnte. Viele der ausgestellten Arbeiten weisen auf Unbequemes hin, bringen zum Schmunzeln, bis es einem wieder vergeht. Große Themen werden da mit teils filigranster Technik verhandelt: Krieg, Klima, Körper, Konsum, unser Verhalten im Internet sind da nur einige nennenswerte. Wer beim Ausstellungstitel an weiche Wolldecken und Omas Strickarbeiten denkt, wird überrascht sein. Überrascht von der Detailtreue, mit der Lisa Reichmann Hände stickt, als hätte die Alten Meister sie gemalt. Überrascht davon, dass sich das Internet-Phänomen Meme bei Lucia Mattes auch mit starker Message filzen lässt. Überrascht von Gasmasken, Wirbelsäulen, tanzenden Röcken und Autohimmeln.

Viele Handarbeitstechniken boomen heute auch bei jungen Menschen und in den sozialen Medien. In der Kunst erfahren sie eine regelrechte Renaissance. Stricken, Nähen, Sticken, Häkeln, Filzen, Weben – 65 Arbeiten von 16 Künstlerinnen und Künstlern zeigen eine beeindruckende Bandbreite auf. Dabei sind Berührungsängste unbegründet: „Textiles ist sehr nahbar. Das Material macht es uns leicht, einen Zugang zur Kunst zu bekommen. Da muss man nicht unbedingt große Kunstkenntnisse mitbringen, um die Ausstellung zu genießen“, weiß Kuratorin Christina Körner.

Die Ausstellung in der Stadtgalerie Mennonitenkirche, Schlossstraße 2, 56564 Neuwied, ist bis 30. Juni jeweils mittwochs bis freitags von 14 bis 18 Uhr sowie an Wochenend- und Feiertagen von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Eine Terminvereinbarung für Gruppen ist möglich unter Tel. 02631 802-494.