Neuwieder Freiheitsrechte

Im Dreißigjährigen Krieg hatte auch die Grafschaft Wied sehr gelitten. Mit der Gründung der Stadt Neuwied 1653 sicherte sich Graf Friedrich III. einen schmalen Zugang zum Rhein, der bedeutendsten Verkehrsader in jener Zeit. Als sich die junge Stadt trotzdem nur sehr schleppend entwickelte, verkündete Graf Friedrich 1662 das neun Punkte umfassende gräfliche Stadtrechtsprivileg. Es umfasste als zusätzlichen Anreiz für neue Bürger großzügige Freiheitsprivilegien.


"Wir Friedrich Graff Zu Wiedt/Herr Zu Runkel / und Isenburg Thuen Kundt/ und fügen Zuwißen Jedermännlich in- und außerhalb des Römischen Reichs geseßenen Erben/hiemit/ undt krafft dießes öffentlich bekennendt/vor Unß / Unßere Erben / gantze Posterität/ und Successoren; Demnach Wir Unßere Graffliche Residentz Newen Wiedt mit Unßern/und ändern Underthanen Zuersetzen...

Wir Friedrich Graf zu Wied, Herr zu Runkel und Isenburg, geben hiermit allen Bürgern, in- und außerhalb des Heiligen Römischen Reiches, mit diesem Schreiben öffentlich bekannt:
Wir wollen unsere neue gräfliche Residenz Neuwied mit unseren und anderen Untertanen aus benachbarten Fürstentümern, Grafschaften und Herrschaften besetzen. Denen, die sich hier häuslich niederlassen wollen, welchen Standes und Religion sie auch immer sind, wollen wir besondere Freiheiten und Immunitäten versprechen, wie sie im Folgenden genannt werden.

Und Erstlich Zwarn /so Viel den punctum Religionis / alß welcher daß grundt Vest/und haubtsachlichst ist / Betreffen thuet/... daß Wir Ihnen /so der Reformirten Religion nicht Zugethan / Freye Conscientz / und Exercitium Religionis in Ihren häußern Ungehindert gestatten...

Und zwar erstens in der Frage der Religion, die das Grund- und Hauptsächlichste ist, versprechen wir, dass wir uns an die Friedensbestimmungen von Münster und Osnabrück halten werden. Auch solchen, die der reformierten Religion nicht angehören, sichern wir freie Ausübung der Religion in Ihren Häusern ohne jedwede Störung zu. Dies versprechen wir für uns und unsere Nachfolger für alle Zeiten, selbst für den Fall, dass im Reich andere Regelungen getroffen würden.

Dießem nechst Vors Zweyte/sollen Sie/krafft dießer Erclärung Von allen ordinär!/ und Extraordinär] Frohn / und Diensten / wie die auch nahmen haben / und Unter waß Schein dieselbe gesucht werden möchten / gleich anderen liberis Statibus (freien Ständen) gäntzlich exempt/ befreyet/ und erlaßen sein /...

Zum zweiten sollen die neuen Bürger von allen ordentlichen und außerordentlichen Fronleistungen und anderen Diensten befreit sein, wie alle anderen freien Stände. Dagegen dürfen auch unsere Nachfolger für alle Zeiten nichts unternehmen, sondern diese unser gräfliche Zusage und Versprechen soll für alle Zeiten gelten.

Und obwohl auch Drittens Unßerer Graffschafts Underthanen Unß mit leibaigenschafft affect und zugethan seindt/So wollen Wir gleichwohl demselben Leibaigenschafft auff Dero Personen / und forders in anlehnung Dero / und derselben güetter/so Sie Unter Unßerer Graffschafft erwerben werden / keineswegs extendirt (ausgedehnt) /sondern dieselbe pro liberis (als Freie) / und frey Underthanen gehalten haben /auch Ihnen / und Ihren Kindts Kindern / gleich anderem Zu Newen Wiedt wohnenden Bürgern /freystehen...

Und obwohl drittens die Untertanen unserer Grafschaft unsere Leibeigenen sind, sollen die Bürger zu Neuwied als Freie gelten. Auch ihre Kinder und Kindeskinder sollen frei sein. Dafür stehen wir und unsere Nachfolger auch gegen jeden Einspruch von außen ein.

Und auf/daß Viertens die Statt Zu beßerem auffnehmen / und Vergrößerung gelangen möge /So haben Wir Vier Jahrmärckte/deren Drey Von Alters zu Oberbieber geweßen / daselbsthien transferirt (übertragen)/und angelegt/wie gleichfalls einen Wochenmarckt anzustellen erlaubet/ und freygelaßen /...

Damit die Stadt viertens schneller wachse und größer werde haben wir vier Jahrmärkte, von denen drei früher in Oberbieber abgehalten wurden, nach Neuwied transferiert. Außerdem haben wir die Abhaltung eines Wochenmarktes erlaubt. (…) Die Neubürger von Neuwied sollen die gleichen Rechte an Wald, Wasser, Weide und Jagd, wie die Bürger von Langendorf und Heddesdorf haben. Außerdem ist es erlaubt, im Rhein zu fischen und Wasservögel zu jagen.

Was nun Fünftens die niedere Jurisdictionalia (Gerichtsbarkeit) / Undt regiment in offtbemelter Statt belangen thuet/so concediren / Und Verwilligen Wir hiemit Krafft dieses / daß die Einwohnere nach erforderen / Und gelegenheit der Statt/auß Ihren mitteten Von qualificirt- Und düchtigen Personen/so ehrbahren / und friedsamben lebens/und wandels sindt/ einen Magistrat erwählen...


Die Bürger der Stadt sollen fünftens aus ihrer Mitte aus ehrbaren und qualifizierten Bürgern einen Magistrat bilden, zu dem ausdrücklich auch Personen, die nicht dem reformierten Bekenntnis angehören, zugelassen sind. Auch erhält der Magistrat die niedere Gerichtsbarkeit in solchen Sachen, die 50 Reichstaler nicht überschreiten. Alle anderen Rechtsstreitigkeiten werden vor dem gräflichen Gericht verhandelt. Es gilt der im Reich übliche Instanzenzug (…).

Ferner ist Sechstens abgeredt/Und Vestiglich beschlossen / dass die accisen (Steuern) von Wein / und Bier zuverstehen / waß in Würthshäußern mit der maaß Verzappet würdt/zur halbscheidt Unß/und die andere halbscheidt offtgemelter Stadt gehandtreichet/und gelassen werden …  

Ferner wird sechstens zugebilligt, dass die Steuern von Wein und Bier, welches in der Stadt verzapft und ausgeschenkt wird, zur Hälfte uns und zur Hälfte der Stadt zugute kommen soll. (…) An der Aufteilung der Steuern darf keiner unserer Nachfolger ohne Zustimmung der Stadt etwas ändern.

Und was Siebendens/ahn ein- od. anderm Einwohner und Bürgern Zu Newen Wiedt mißhättig erfunden / und nach anlaitung art. 5. straffällig ersendt würdt/ Er habe in= oder außerhalb der Ringmaur/wallen/oder Bezirck der Stadt/civiliter (zivilrechtlich) oder criminaliter (strafrechtlich) gesündiget...


Wenn siebtens bei einem Verfahren vor dem städtischen Gericht Geldstrafen verhängt werden, so sollen diese je zur Hälfte der Stadt und dem Grafen gehören. Damit alles mit rechten Dingen zugeht, überwacht ein Jurist aus der gräflichen Verwaltung das Verfahren und die Geldaufteilung. Für die Finanzierung des Aufbaus der Stadt und deren Befestigung darf die Stadt Gelder von den Bürgern fordern, der Graf und seine Nachfolger dürfen zu diesen Leistungen nicht herangezogen werden.

Zum Achten Versprechen / und wollen Wir einem iedweden / welcher bawen will/soViel platzung/oder hoffraiden (Hofgrundstücke)/alß ErZuverbawen Vornehmen/und notthürftig sein würdt/ohne entgeltnes assigniren / und ahnweißen / wobey dan die Jetzige Einwohner / und künfftiger Magistrat genau achtung haben / undt nicht zugeben sollen / daß die gaßen verbawet / oder Verschmählert/sondern der Richtschnur nach fortgesetzt werden; ...

Achtens versprechen wir jedem, der ein Haus bauen will, einen kostenlosen Bauplatz. Der Magistrat soll darauf achten, dass alle Häuser nach Plan (im Karree) gebaut werden. Hausbauer und Hauskäufer bleiben für zehn Jahre nach Bau oder Kauf von allen Abgaben verschont. Erst danach wird über eine gewisse, jährlich zu erhebende Grundsteuer verhandelt werden. Grund und Boden und Häuser können vererbt werden. Gräfliche Beamte und Adelige, die in Neuwied Häuser bauen wollen, befeit der Graf von allen öffentlichen Lasten

Letztens Zu erholtung Zwischen der Herrschaft/ und Bürgerschafft beständiger gueter Verträwlichkeit /so finden Wir nöthig / daß hierinnen cavirt/und Vorbehalten werde/daß Unßere Erben und Successoren nicht macht haben sollen / die Unß obgemelter maßen Vorbehaltene Renthen / und gefalle ZuVerpfänden /noch ZuVeralieniren / es seye ahn die Statt selbst...

Um letztens das Vertrauen zwischen Herrschaft und Bürgerschaft zu verstärken, so verfügen wir, dass unsere Erben und Nachfolger unsere Einkünfte aus der Stadt nicht verpfänden dürfen, es sei denn an die Stadt selbst. Alle Verabredungen, die diesem Artikel zuwiderlaufen, sollen ungültig sein. Jeder, der gegen die Stadtrechte (von 1653) und Freiheitsrechte verstößt, soll mit 10 Mark in Gold bestraft werden.