Einzigartig im Rheintal: Der Deich in Neuwied

Seit Jahrzehnten schützt er die Neuwieder vor den Fluten des Rheins

Was Rheinanlieger regelmäßig beklagen müssen, was vielen Orten enorme Probleme bereitet und den Alltag immer wieder lahm legt: In Neuwied ist dies kein Thema. Denn seit mehr als 80 Jahren ist die Stadt vor Hochwasser geschützt. Der Grund: ein 7.5 Kilometer langer Deich, erbaut zwischen 1928 und 1931 auf Initiative des damaligen Bürgermeisters Robert Krups. Dafür setzten ihm die "Deichstädter" ein Denkmal. Die Bronzestatue des Bürgermeisters ziert die Promenade auf der Deichmauer.

Zwar haben Randbereiche, die seinerzeit noch nicht zu Neuwied gehörten, sondern erst seit 1970 und der Bildung der heutigen "größeren" Stadt, nach wie vor mit Hochwasser zu kämpfen. Trotzdem hätte sich Neuwied, darüber besteht wohl kein Zweifel, ohne den Deich nicht so entwickeln können. Ohne dieses Bauwerk gäbe es die City und den Einzelhandel nicht in der Form wie man sie heute vorfindet und wie sie Besucher und Kunden aus der gesamten Region anlocken. War doch regelmäßig bei Hochwasser die gesamte Innenstadt bis nach Heddesdorf hin überflutet. Bei annähernd 70 Hochwassern hat der Deich mittlerweile die Neuwieder vor größeren Schäden geschützt.

 "Land unter" von zwei Seiten her

Erschwerend kam hinzu, dass die Stadt nicht nur vom Rhein her überschwemmt wurde, sondern durch die Fluten eines sonst trockenen Nebenarms des Flusses, der bei Hochwasser gefährlich anschwoll, quasi auch von der rückwärtigen Seite aus "Land unter" stand. Der bei Trockenheit "tote" Rheinarm führte von der Kronprinzenbrücke aus über das Engerser Feld durch Langendorf und verlief über den heutigen Luisenplatz in der City. In Hochwasserzeiten kam das Rheinwasser also von zwei Seiten aus in die Stadt.

Im 18. Jahrhundert hatte man noch versucht, das Wasser des Rheins durch sogenannte "Baumgardinen" und Barrikaden aufzuhalten. Doch diese Barrieren überstanden nicht einmal den Eisgang des Rheins, geschweige denn ein Hochwasser. Im 19. Jahrhundert errichtete man Erddammbauten, die zwar Eisdrift und die rückwärtige Hochwasserflut abhielten, nicht aber die Überschwemmungen vom Hauptstrombett und von der Wied her.

Drei schwere Hochwasser gaben den Ausschlag

Ausschlaggebend für den Beginn des Deichbaus waren schließlich drei für die Altstadt und ihr Geschäftszentrum folgenschwere Hochwasser in den 20-er Jahren des vorigen Jahrhunderts. Bürgermeister Krups setzte sich nachhaltig dafür ein, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Technik einen Hochwasserschutzdeich zu bauen, der die Stadt künftig vor ähnlichen Katastrophen schützen sollte. In einer Broschüre aus dem Jahr 1927, die Aufklärung über die Schäden des Hochwassers vermitteln und gleichzeitig um Verständnis für den geplanten und mit hohen Kosten verbundenen Deichbau werben sollte, heißt es: "Es ist beabsichtigt, die gesamten Arbeiten, soweit anhängig, als Notstandsarbeiten durchzuführen, sodaß die Erwerbslosen der Stadt Neuwied bei den Bauten beschäftigt werden. Insgesamt sind 220.000 Tagewerke errechnet worden. Die Baukostenbeträge sind auf 5 Millionen Reichsmark veranschlagt." Die tatsächliche Kosten betrugen fast 8 Millionen Reichsmark, das entspricht, umgerechnet auf unsere heutige Währung, dem Betrag von etwa 70 Millionen DM (oder 37 Millionen Euro).

Auf 7,5 Kilometern Länge wurde der Schutzdamm errichtet, zum Teil als stabile Aufschüttung eines Erdwalls, vor dem Stadtzentrum als hohe Quadermauer. Betrachtet man heute das Bauwerk, das nach Meinung mancher Neuwieder die Rheinansicht der Stadt nicht gerade verschönert, kann man sich nur bruchstückweise vorstellen, welchen Aufwand der Bau des Deiches vor 75 Jahren erforderte: Insgesamt 2450 Arbeiter gingen hier ans Werk. Alle Bäume am gesamten Rheinufer mussten gefällt werden, eine Gaststätte und sieben Häuser standen dem Deich "im Weg". Sie wurden gesprengt und abgerissen.

Riesige Mengen Tonerde, Lehm, Kies, Steine, Beton, Zement und Eisen karrte man zur Baustelle. Am Deichbau beteiligt waren 25 Bau- und 90 Lieferfirmen. Drei Jahre lang dauerten die Arbeiten. Im Oktober 1931 war das Bauwerk fertig - ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte der Entwicklung der "Stadt an Rhein und Wied". Seit dieser Zeit führt Neuwied auch den Beinamen "Deichstadt", und die Deichanlage mit ihrem Pegelturm ist neben der für die Expansion der Stadt ebenso wichtigen Rheinbrücke längst zum Wahrzeichen geworden. Doch die Deichmauer ist mit etwa 500 Metern Länge nur ein kleines Bruchstück der gesamten Anlage, die in Engers an der Kronprinzenbrücke beginnt und oberhalb der Firma Rasselstein in der Gemarkung Nodhausen an der Wied endet. Der größte Teil des Deiches besteht aus einem Erdwall mit Tonkern.

Der Stadt Neuwied, ihren Bürgern und den Geschäftsleuten in der Innenstadt ist durch den Schutz des Deiches seit seiner Fertigstellung laut einer groben Schätzung ein wirtschaftlicher Schaden von über 1,5 Milliarden DM erspart geblieben.

Ein "technisches Wunder"

Technisch ist der Deich auch heute noch ein "kleines Wunder". Insgesamt neun Tore werden bei einem Pegelstand von sechs Metern nacheinander nach festem Einsatzplan geschlossen und halten so die Fluten zurück. Pumpwerke in der Anlage leiten auch bei Hochwasser Regenfluten und Abwasser in den Rhein ab und schützen die Stadt vor Überschwemmung. Die breite Promenade auf der Deichmauer ist dann beliebter "Ausflugsort" für viele Schaulustige. Auf der einen Seite der Mauer die schmutzig-braunen Rheinfluten, auf der anderen Seite trockene Straßen: Dieser Anblick bietet sich sonst nirgendwo am Mittelrhein.

Zuständig für die Wartung des Deiches sind heute neben der Wasserwirtschaftsverwaltung des Landes das städtische Amt für Feuer- und Katastrophenschutz, die Feuerwehr und der Regiebetrieb der Stadt. Sie überprüfen nicht nur bei regelmäßigen Deichbegehungen die Hochwasserfestigkeit des Dammes und der Mauer. Zu ihren Aufgaben zählt auch die ständige Kontrolle der Funktionsfähigkeit der Deichtore. Wie der Deich von außen aussieht, ist vielen hinlänglich bekannt. Wie aber steht es um das "Innenleben"?

Das "Innenleben" des Deichs

In der fünf Meter breiten Mauer befindet sich das Pumpwerk Schlossstraße. Weitere Pumpwerke sind in der Kappelstraße und im Werksgelände der Firma Rasselstein untergebracht. Die Deichmauer, das augenfälligste Teilstück des Deiches, besteht aus zwei Außenmauern, die im Abstand von fünf Metern parallel errichtet wurden. Der Zwischenraum zwischen diesen beiden Wänden wurde mit Ton und Kies gefüllt. Quasi auf dem "Dach" dieser Konstruktion errichtete man die "Deichkrone".

Nicht nur die Mauer, auch der Erdwall, der den Hauptteil des Deiches ausmacht, liegen in der Gesamthöhe überall einen Meter über dem bisher bekannten höchsten Hochwasserpegel. Die tiefsten Geländepunkte entlang der Deichlinie liegen vier Meter unter dem höchsten Hochwasser. Diese Zahlen machen deutlich, wie immens die Überflutungen ohne die Schutzfunktion dieses Bauwerkes wären. Die Hochwasserschutzanlage ist für ein Steigen des Rheinwassers um neun Meter über dem normalen Wasserstand ausgelegt, wodurch sich ihre beträchtliche Höhe ergibt.

Die umfangreiche Technik der Pumpwerke und Näheres zur Deichkonstruktion können interessierte Gruppen bei Besichtigungen des Hochwasserschutzwalls und bei Führungen erfahren. Über die Funktion des Deiches gibt auch das Deichinfocenter, ein Museum, das am Deichtor Schlossstraße errichtet wurde, Auskunft. Hier können Besucher interaktiv erleben, wie weit die City bei Hochwasser ohne den schützenden Deich überflutet würde (www.deichinfo.de). Führungen zum Thema Deich können über die Tourist-Information Neuwied, Telefon 02631/802-5555 vereinbart werden.