von Jürgen Moritz   

In den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts hörte man in unserer Region gelegentlich noch die Bemerkung, "dass jemand auf der Wicking schaffe". Der Chronist kann sich noch gut an entsprechende Äußerungen von Arbeitern in Blocker Bimsbetrieben erinnern. Gemeint war damit allerdings das Neuwieder Werk der Firma Dyckerhoff, damals wie heute am Rhein gelegen. Woher aber rührte der Name Wicking-Werke her? Blicken wir in die zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts zurück.

Am 12. Oktober 1928 konnte man der Neuwieder Lokalpresse entnehmen, dass es dem tatkräftigen Bürgermeister Robert Krups gelungen war, das im Jahr zuvor durch die Stadt Neuwied erworbene Werksgelände der ehemaligen Hermannshütte an die Wicking`schen Portlandzement- und Wasserkalkwerke AG in Münster/Westfalen zu verkaufen. Im Zuge seiner expansiven Unternehmenspolitik hatte dieser westfälische Zementhersteller den Sprung in das Gebiet der absatzstarken mittelrheinischen Schwemmsteinindustrie vollzogen und beabsichtigte laut Zeitungsbericht auf dem ehemaligen Hüttengelände zunächst eine Schmelzzement- und später eine Portlandzementfabrikation zu errichten.

Die Nachricht wurde von den Bürgern Neuwieds mit großer Freude aufgenommen, denn die Stilllegung der Hermannshütte drei Jahre zuvor, die mit dem Verlust vieler Arbeitsplätze einherging, war ein herber Schlag für das Neuwieder Wirtschaftsleben gewesen. Man erwartete von der Errichtung des neuen Zementwerkes eine Verbesserung der Situation am hiesigen Arbeitsmarkt, zumal zunächst 150, später sogar bis zu 400 neue Arbeitsplätze geschaffen werden sollten. Außerdem würden der Bau der Werksanlagen und die Errichtung von neuen Wohnungen zu einer Belebung der örtlichen Bautätigkeit führen. Auch die Not- und Obdachlosenwohnungen, die sich auf dem Gelände der ehemaligen Hermannshütte gebildet hatten, würden endlich verschwinden. Am erfreulichsten sei letztlich aber die Tatsache, dass an dieser Stelle wieder ein "schaffendes Werk" entstehe. Weiterführende Pläne der Stadt Neuwied, in dem Industriebereich eine Kaianlage sowie einen umfangreichen Industriebahnanschluss mit Verbindung zur Staatsbahn zu errichten, schienen durch die Ansiedlung des Werkes nun unter einem günstigen Stern zu stehen.

Foto: Menzel KMZ
Feldbahneinsatz während des Neuwieder Deichbaus. Im Hintergrund erkennt man das Rohmateriallager sowie Teile der Nassmühlen der neuen Wicking-Werke.

Die Arbeiten an dem neuen Industriewerk schritten zügig voran, und schon zwei Jahre später wurde in der Sondernummer einer Bauzeitschrift zur Leipziger Messe über die Errichtung eines Zementwerkes in Neuwied am Rhein, "das die neuzeitlichste und vollkommenste Anlage dieser Art darstellt", berichtet. Entstanden war in kurzer Zeit ein Zementwerk, das nach seinem vollständigen Ausbau täglich 1500 Tonnen Portlandzement herstellen sollte. Die Rohstoffe zur Zementherstellung wurden rheinabwärts per Schiff herangeführt: Kalkstein aus Oppenheim und Ton aus der Nähe von Ehrenbreitstein. Mit Hilfe eines weitausladenenden Kalksteinentladers wurde der Kalkstein aus den Schiffen gelöscht, je nach Wasserstand des Rheins bis zu dreißig Meter gehoben und mit einer die Deichstraße überquerenden Hängebahn, deren einzelne Transportgefäße jeweils fünf Kubikmeter Fassungsvermögen hatten, dem Kalksteinlager zugeführt. Dieses Lager hatte ein Vorratsvolumen für mehr als einen ganzen Produktionsmonat. Der Ton wurde in Schlammform mit Tankschiffen angeliefert und durch ein Pumpwerk in den Vorratsbereich befördert. Man arbeitete in dem neuen Werk nach dem sogenannten Nassverfahren: Kalkstein und Ton wurden in einem bestimmten Verhältnis in große Nassmühlen gegeben und dort vermahlen. Von der Mühle aus wurde der Schlamm in die Schlammsilos gedrückt, durchgemischt und dann dem Ofenhaus zugeführt. Der dort anfallende Klinker wurde zunächst gebrochen und über ein Becherwerk in das mächtige Klinkersilo befördert, das aus sechs Rundzellen mit je acht Meter Durchmesser und zwanzig Meter Höhe bestand. Über die Zementmühlen und -silos gelangte der fertige Zement zu Packerei und Verladung, um dann per Fuhrwerk, Lastkraftwagen, mit der Eisenbahn oder wiederum per Schiff versandt zu werden. Die im Zeitungsartikel des Jahres 1928 angesprochene Schmelzzementproduktion wird in dem Beitrag der Zeitschrift nicht mehr erwähnt.

Der Bau des modernen Zementwerkes Neuwied wurde für die wirtschaftlich schon schwächelnde Wicking AG zu einem finanziellen Kraftakt. Ursprünglich hatte man nämlich geplant, die vorhandenen Werksgebäude der Hermannshütte weiter zu nutzen, was sich jedoch als wenig sinnvoll erwies. Der Abriss der alten Gebäude und der kostenintensive Neubau waren die Folge.

Bereits in der zweiten Hälfte des Jahres 1930 nahm die Firma Dyckerhoff & Söhne Verhandlungen mit dem Wicking-Konzern auf, der zwischenzeitlich in eine außerordentliche wirtschaftliche Schieflage geraten war. Letztlich war eine Fusion beider Zementhersteller unter dem Namen Dyckerhoff & Wicking AG das Ergebnis der Verhandlungen, die einen völligen Zusammenbruch von Wicking verhinderten.

Foto: Archiv Dyckerhoff
Blick auf das Betriebsgelände des entstehenden Zementwerks um 1929. Bei der abgebildeten Entladeanlage dürfte es sich um die Kohleentladung gehandelt haben, dahinter die Fasspackerei

Nur ein kurzes Gastspiel gab somit der westfälische Wicking-Konzern Ende der zwanziger Jahre in Neuwied. Sein Name jedoch fand noch Jahrzehnte später bei den Menschen unserer Region Erwähnung. Und die Produktion von Zement spielt auch heute noch eine bedeutende Rolle im Neuwieder Wirtschaftsleben.

Quellen:
· Wolfram, K.: Die wirtschaftsgeschichtliche Entwicklung der Stadt Neuwied, Neuwied 1927
· Das neue Zementwerk der Wicking-Werke in Neuwied, Vulkanische Baustoffe 1930, S. 162 ff.,
· Neuwieder Zeitung vom 12.10.1928 und 16.06.1939· Rhein- und Wiedzeitung vom 12.10.1928
· Vertrag zwischen der Stadtgemeinde Neuwied und der Firma Wicking`sche Portlandzement- und Wasserkalkwerke AG in Münster/Westfalen vom 12. Oktober 1928
· Müller-Haeseler, W.: Die Dyckerhoffs - Eine Familie und ihr Werk, Mainz 1989